Lonelytrack - Rad around the world

1.  2006: Marokko, Westsahara, Mauretanien, Senegal, Mali, Gambia








1.  2006: Marokko, Westsahara, Mauretanien, Senegal, Mali, Gambia

"Sonne, Wind und Wüstensand"

4000 Km Radabenteuer durch Westafrika

von Andreas Wever

veröffentlicht in Zeitungen

Umringt von einem Dutzend wild durcheinander plappernde marokkanische Kellner, sitze ich Ende Oktober in einem gemütlichen Strandcafe in Agadir über meine Landkarte gebeugt. Bereits schon einmal, vier Jahre zuvor saß ich hier. Seinerzeit radelte ich auf dem Landweg über Frankreich und Spanien bis hier her. Jetzt gelangte ich vor wenigen Stunden mit einem günstigen Charterflug an diesem Ort. Damals war es mein Ziel, heute mein Startpunkt! Setze ich doch einfach meinen Weg von hier weiter fort, um Afrika, das ich als Reiseziel bei meinen bisherigen großen Radtouren immer vernachlässigt habe für mich weiter zu entdecken! So plane ich jetzt, bei angenehmsten Temperaturen und herrlichem Blick auf den Ozean, mein Radabenteuer Westafrika! Ich starre auf ein Dutzend wild umherfuchtelnder Finger auf meiner Straßenkarte. Das Personal hat schon länger das Bedienen aufgegeben, überschüttet mich mit wohlgemeinten Ratschlägen und versucht mich zum Besuch zahlloser Orte in Marokko zu überzeugen. Alle schnattern wild durcheinander und mein Bierglas wartet seit längerem auf Inhalt....Timbuktu....
Timbuktu !!! trompete ich in die Menge. Ein Dutzend entgeisterte Augenpaare gaffen mich an. Offenbar liegt es völlig außerhalb ihrer Vorstellungskraft ihr Land, - das Schönste und Beste der Welt –, auf kürzestem Wege zu verlassen und ins sichere Verderben zu rennen (oder radeln) um den zweifellosen Tod in der Einöde Mali den Vorzug zu geben. Fassungslos lassen sie mich sitzen und gehen wieder ihrer Arbeit nach. Meine erste grobe Planung gestaltet sich ziemlich einfach. Ich drehe die Karte in meine Fahrtrichtung. Links ist haufenweise Sand – man nennt ihn Sahara, rechts ist eine Menge Wasser – der Atlantische Ozean. Genau da zwischen werde ich mich einfach nach Süden bewegen!



  

Das Radabenteuer Westafrika nimmt seinen Lauf. Auch für den rotweißen Zebratruck aus Aachen mit Orli, Phil & Wolfi (Hund) geht es in die gleiche Richtung!  www.orli.ws


Meine ersten Tagesetappen führen mich durch prächtige Berglandschaften, atemraubende Küstenszenerien und nur wenige Orte. Bald wird es zunehmend wüstenhafter und die Abstände zu den Versorgungspunkten immer größer. Dank eines günstigen Rückenwindes komme ich trotzdem gut voran – bis zu diesem denkwürdigen Nachmittag....
Der Wind dreht, der Himmel verfinstert sich und im Nu bläst mir der Dünensand schmerzhaft ins Gesicht. Fluchend werfe ich mich zum Schutz mit Rad und Ausrüstung in eine Bodenmulde und versuche alles festzuhalten. Was jetzt wegfliegt verschwindet auf nimmer Wiedersehen! Während sich der Sand auf mir türmt, nehme ich die Umrisse und Stimmen zweier Gestalten wahr. Wie aus dem Nichts kommend helfen mir zwei Frauen mit grellen Gewändern mein Rad und mich in ihren Landrover zu verfrachten. Zwei Schutzengel im Jeep unterwegs ?! „Salaam Malaikum, wir sind die Prinzessinen der Sahara!“ stellen sie sich mir vor, zwei französische Abenteurerinnen auf dem Weg nach Timbuktu – um einem Bedürftigen einen Rollstuhl zu bringen! Die Nacht verbringen wir zusammen an einem einsamen, schönen Stück Atlantikküste und zaubern uns ein köstliches indisches Mahl auf dem Gaskocher. Am Mittag des Folgetages verabschiede ich mich von meinen zwei liebenswürdigen Retterinnen im Marktstädtchen Boijdur.
Zur Weiterfahrt klemme ich mir so viele Plastikwasserflaschen wie nur möglich mit Spanngurten auf meine Packtaschen, denn bis zur nächsten Tankstelle, oft die einzigen Versorgungsmöglichkeiten in der Westsahara, sind es 160 km und bei den Winden weiß man nie...
Oft verbringe ich die Nächte ohne Zeltaufbau unter freiem Himmel, da sich gegen Abend der Wind meist legt. Mittlerweile befinde ich mich inmitten der Westsahara, ein von mehreren Ländern beanspruchtes Gebiet, doch hält Marokko den Daumen drauf. Diese unklare Lage hat keine direkten Auswirkungen für Durchreisende, doch ist die Präsenz der UNO unverkennbar. In Dakhla, einer der wenigen Städte in diesem Gebiet, bevölkern rund 40 holländische Teilnehmer der „Amsterdam- Dakar Challenge“, einer Nachahmerrally, das hiesige Wüstenfahrer- Campement. Die halbe Nacht fließt holländisches Fassbier in Strömen.


Plausch mit Teilnehmern der Amsterdam - Dakar Challenge

Noch vor der mauretanischen Grenze sichte ich einen weiteren Fernradler! Gemeinsam mit Gerd, einem 26jährigen Belgier setze ich meinen Weg fort. Den problemlosen Grenzformalitäten auf marokkanischer Seite folgt eine fünf Kilometer schwer befahrbare Piste durch Niemandsland. Noch immer zeugen Autowracks von der Gefahr umher liegender Landminen. Oft müssen wir unsere Räder schieben, vorbei an manch hoffnungslos im Sand steckende Fahrzeuge. Eine einfache Bretterbude bildet den mauretanischen Grenzposten, an dem wir für 30 € unsere Visa bekommen. Vor uns liegen jetzt weite Wüsten und Savannenlandschaften. Die Sonne brennt uns mit jedem Kilometer erbarmungsloser auf die Schädel. Halbnomaden beäugen uns neugierig aus ihren Zelten entlang der Straße und selbst reihenweise Kamele verfolgen uns synchron mit ihren großen Augen, wenn wir an ihnen vorbei rollen. Mauretanien zählt zu den ärmsten Ländern der Erde. Von etwas, das man halbwegs als Ort bezeichnen kann, ist bis zur 480 km entfernten Hauptstadt Nouakchott kaum eine Spur. Bis dahin rauben uns anhaltende Sandstürme den letzten Nerv.

  

Auf der Straße nach Süden - mit und ohne Asphalt

Die Hauptstadt zählt sicher nicht zu den attraktivsten Kapitalen dieser Welt, doch genießen wir einen angenehmen Aufenthalt in der „Auberge Sahara“, mit urgemütlicher Dachterrasse und praktischer Gemeinschaftsküche für Selbstversorger- eine beliebte Adresse unter Wüstenfahrern. Goldgelbe Sanddünen erheben sich im Süden des Landes und bald erreichen wir die Grenze zum Senegal. Wieder stellt sich das euphorische Gefühl ein, eine neue Grenze überwunden zu haben. Doch welch Kontrast diesmal – das richtige Schwarzafrika beginnt! Die Frauen wirken selbstbewusster als in den eher konservativen, arabisch geprägten Ländern zuvor und bringen dies durch ihre farbenfrohen Gewänder und Wickelröcke deutlich zum Ausdruck. Zuerst radeln wir in die ehemalige Hauptstadt St. Louis. Der charmante Fischerort an der Mündung des Senegalflusses besticht durch gut erhaltene französische Kolonialarchitektur, bunte Märkte und endlich wieder gute Restaurants mit Bier. Nach ein paar Tagen angenehmsten Aufenthalt nehme ich Abschied von Gerd und Kurs auf das Inland. Ein heißer Ostwind bläst mir gnadenlos entgegen und ich überlege, ob ich in meine Plastikwasserflaschen schon Teebeutel hängen kann. Ich durchquere weite Savannenlandschaften mit goldgelben Buschgras und mächtigen Baobabbäumen, in deren Schatten manchmal die Lehmrundhütten der Halbnomaden auszumachen sind. Meine Begegnungen mit den Menschen hier sind herzlich. Kinder jubeln mir fröhlich zu. Als Reiseradler wird man schnell zur Dorfattraktion. 


Begegnung auf dem Weg nach Mali


Lautes Krachen reißt mich kurz vor der östlichen Provinzstadt Tambacounda völlig aus meinen Gedanken. Ein außer Kontrolle geratener, überladener Peugeot-Kombi schießt mit gebrochener Achse auf mich zu.

  


Geistesgegenwärtig trete ich noch einmal kräftig in die Pedale und reiße dabei meinen Lenker nach rechts um den Frontalcrash, bei dem ich mit Sicherheit den Kürzeren gezogen hätte, zu vermeiden. Jedoch drückt mich die volle Breitseite des Buschtaxis in einen hölzernen Gemüsestand. Für einen Moment sehe ich Sterne. Da ich kein hoch bezahlter Fußballprofi bin, rappel ich mich schnell wieder auf und signalisiere dem entsetzten Fahrer und der aufkommenden Menschenmenge, dass ich noch lebe. Außer ein paar Quadratzentimeter Haut und ein paar Prellungen fehlt mir nichts - Schwein gehabt! Nachdem ich mich am Abend in einer einfachen Unterkunft versorgt habe, bringe ich mit Grob- und Feinwerkzeug auch mein Rad für den nächsten Morgen wieder ans Rollen für die Weiterfahrt nach Mali. Nach problemloser Grenzüberschreitung erreiche ich bald Kayes, eine quirlig bunte Marktstadt am Senegalfluß. In einer billigen Absteige entdecke ich einen mannsgroßen, verdreckten Spiegel, den ich mit einem Lappen bearbeite. Zum Vorschein kommt noch mehr Dreck! Gütiger Himmel – welch übel aussehendes Wesen blickt mich da an?! Staubverkrustet, aufgesprungene Lippen, Blessuren, verfilztes Haar – so sehe ich also immer nach einem langen Tag im Sattel aus?! Länger schon trage ich einen Gedanken wie eine Last mit mir: Was will ich eigentlich in Timbuktu - einem Fliegenverseuchten Nest inmitten der Wüste??! Nur der Name ein Mythos – gestehe ich mir ein und werfe noch am gleichen Abend meine Pläne über den Haufen. Es wird Zeit für Urlaub im Urlaub! Für zwei Tage stürze ich mich in das bunte Treiben der Stadt und radle dann mit vollem Elan wieder zurück in den Senegal.


"Kopfarbeit" - farbenfrohe Frauen im Senegal

Ein kräftiger Rückenwind schiebt mich euphorisch meinem neuen Ziel, die schönsten Strände Westafrikas, entgegen. Zügig erreiche ich nach wenigen Tagen die südlichste Provinz Casamance. Subtropisches Klima sorgt in diesem Landesteil für eine üppige Vegetation. Reisfelder, Mangobäume, Dattelpalmen, dichte Urwälder und Sumpfgebiete beleben die Landschaft.. Nach kurzem Aufenthalt in der Provinzhauptstadt Ziguingchor quäle ich mich auf schlechten Waschbrettpisten weiter Richtung Ozean. nervöser. In Cape Skirring finde ich endlich was ich suchte: Endloser Sandstrand. Ich entspanne zwei Tage und halte mich dann nordwärts. Kurz vor der Grenze nach Gambia mache ich einen weiteren Abstecher ans Meer und verbringe weitere vier Tage an einem traumhaften Palmenstrand mit einem idyllischen Fischerdorf. Einheimische Kids versuchen mir, leider erfolglos, das traditionelle Djembetrommeln beizubringen. 


Fischer in der Abendsonne - Atlantikküste der Casamance (Senegal)

Noch wenige Kilometer sind es bis nach Gambia, einer schmalen Enklave inmitten des Senegal. Nach einer knappen Tagesreise erreiche ich das, von einem sehr netten deutschen Pärchen betriebene, Camping Sukota. Der Platz hat sich im Laufe der Jahre zu einem Fixpunkt für Afrikareisende etabliert, nicht zuletzt durch ihre außerordentliche Hilfsbereitschaft bei allen erdenklichen Problemen. Meine letzten 2 Tage vor dem Abflug verbringe ich mit Ausflügen zu den Märkten der nahe gelegenen kleinen Hauptstadt Banjul.

Fazit: Für die Zukunft werde ich Afrika bei meinen Reisezielen bestimmt nicht mehr vernachlässigen. Die offene Herzlichkeit der Begegnungen mit den Menschen entlang meiner Reiseroute, die vielseitigen Landschaften, selbst die wüstenhafte Savanne, erweckten Lust und Neugier auf mehr, um irgendwann ein weiteres Stück auf dem schwarzen Kontinent unter die Räder zu nehmen!