Lonelytrack - Rad around the world

1.  2002:  Deutschland, Frankreich, Andorra, Spanien, Gibraltar, Marokko



1.  2002:  Deutschland, Frankreich, Andorra, Spanien, Gibraltar, Marokko


"Betzdorf-Marrakech per Landstraße"


4000 Km vom Heimatort zur marokkanischen Königsstadt


von Andreas Wever

veröffentlicht in Zeitungen



Mein Drahtesel ist bepackt. Nach ausgiebigem Frühstück an jenem Septembermorgen geht es endlich los! Grobes Ziel: Irgendwo ins nördlichste Afrika. Ob Timbuktu oder Agadir, ist doch egal. Der Weg ist das Ziel! Und dieser beginnt bereits vor meiner Haustür! Entgegen meinen sieben Radreisen zuvor in abgelegensten Regionen dieses Planeten starte ich diesmal direkt von Betzdorf. Die ersten 14 Tage werde ich von Alex begleitet.

Irgendwo hinter Friedberg verlieren wir bereits die Orientierung. Obwohl am Horizont bereits die Skyline Frankfurts auftaucht, verheddern wir uns auf Wirtschaftswegen zwischen Autobahnen und Bundesstrassen. In der Mongolei kam ich mal gewaltig vom Kurs ab, auch schon mal in Tibet und Chile, aber gleich hier am ersten Tag auf dem Weg nach Frankfurt?! Radelnde Einheimische lotsen uns an die Nidda, die uns an den Main führt. Entlang des Flusses schon der Hauch der großen, weiten Welt! Menschen verschiedenster Volksgruppen verbringen den schönen Spätsommerabend an den Ufern. In zahlreichen Grüppchen wird gefeiert, gegrillt, gelacht, gespielt und geplaudert. Am Abend erreichen wir die Wohnung meiner Schwester im Schatten des Mainzer Doms.

Wir folgen den belebten Rhein- Radwanderweg und biegen kurz vor Ludwigshafen ab in die Pfalz. Beim campieren in den Weinbergen hinterlässt eine vorwitzige Feldmaus ein 2 Euro großes Guckloch im Zeltboden. Über die Weinstraße verlassen wir Deutschland und gelangen ins Elsass. Hier finden wir ideale Radlerbedingungen vor, teils entlang des Rhein-Marne Kanals, nach Sully an der Loire. Nach dem Besuch einer befreundeten Familie, die auch einige Zeit auch in Betzdorf lebte, radeln wir vorbei an den berühmten Schlössern und Burgen der Loire stromaufwärts bis Decize, Betzdorfs malerische Partnerstadt. Nach einer Ehrenrunde auf der Rue de Betzdorf nehmen wir Kurs weiter gen Süden, nachdem wir noch das Straßenschild mit Brennspiritus von Schmierereien befreien. Bei Clermond-Ferrand nehme ich Abschied von Alex, deren Urlaub nun vorüber ist und einen Zug heimwärts nimmt. Mein Weg führt über die Wälder und Hochheiden des Zentralmassiv und den Cevennen. Es ist recht kalt und ich verbringe manch ungemütliche Nacht auf einsamen Campingplätzen. Gewitter und Wassereinbruch am Zeltboden, die Pfälzer Feldmaus lässt grüßen. Unübersehbar sind die Folgen des Dauerregens im küstennahen Arles. Hochwasser verwüstete hier zahlreiche Campingplätze.

Per Billigflieger trifft im südfranzösischen Montpellier Nina ein, meine Begleitung bis Madrid. Für die Wuppertaler Studentin ist es so eine Art Generalprobe für ihre geplante, große Radreise von Thailand nach Hause! Gemeinsam quälen wir uns über die Pässe der Pyrenäen ins winzige Fürstentum Andorra. In diesem Einkaufs und Steuerparadies komplettiert Nina ihre Ausrüstung für ihre große Reise u.a. mit einem Schweizer Messer, Kompass und einen 400.000 Volt Elektroschocker zur Selbstverteidigung. Letzterer beunruhigt mich ein wenig und hoffe, sie benützt ihn nicht um mich morgens im Zelt zu wecken! Um rechtzeitig ihren Rückflug zu erreichen, nehmen wir von Zaragossa einen Bus nach Madrid. Ich verbringe noch ein paar Tage in der quirligen Hauptstadt bevor ich mich auf den Weg weiter westwärts mache. Bereits nach einer Tagesetappe strample ich ins nächste Gebirge. Eine einsame Höhenstrasse führt durch die “Los Credos”, eine über 2500 m hohen Gebirgskette. Ich bin überrascht! “Ist ja wie in Südamerika!”Landschaften die ich so und hier nie erwartet habe geben mir manchmal das Gefühl irgendwo in Südamerika unterwegs zu sein. Im “Valle del Jerte”, einem wunderschönen und fruchtbarem Tal mit legendären Süßkirschen, besuche ich Sindo, einen Weggefährte in den chilenischen Anden. Auch mich verzaubert, wie Touristenscharen aus der ganzen Welt, die unzähligen Kathedralen, Museen und Paläste in Sevilla, meine nächste Station. Auf dem Weg nach Andalusien begegne ich einen radelnden Maler. Um die prächtigen Landschaften in Bilder festhalten zu können, hat der ältere Engländer sogar ein Klappstuhl auf seinem Rad festgezurrt! Hier im Süden zeigt sich Spanien von einer seiner schönsten Seiten. Unberührte Wälder wechseln mit Feldern und Olivenhainen. Kleine, weiß getünchte Dörfer liegen versprenkelt in den Bergen. Bald erblicke ich wieder das Meer und umkurve noch in der Dämmerung den berühmten Affenfelsen an Europas südlichstem Zipfel. Die Kronkolonie Englands zeigt sich hier sehr britisch. Ich bahne mir den Weg vorbei an Doppeldeckerbussen und schwarzen Taxis, Pubs und indischen Lebensmittelläden bis ein schrilles Trillerpfeifen mich aus meinen Gedanken reißt. “Runter vom Rad und schieben“, raunzt mir ein uniformierter hysterischer Bobby in nächtlicher Einsamkeit hinterher, auch very British. Am “Punta Europa” sehe ich in der Dunkelheit über die Meerenge von Gibraltar Lichter in der Ferne, Afrika! Am darauf folgenden Morgen setze ich nach stürmischer Überfahrt meinen Fuß zum ersten mal auf diesen Kontinent. In der spanischen Enklave Ceuta, ein Relikt des Kolonialismus auf Marokkos Boden, decke ich mit Lebensmitteln und einer Flasche Whisky ein. Das Abenteuer kann beginnen! Besonders vor dem Norden wird wegen Ganoven und aggressiven Rauschgifthändlern im Reiseführer gewarnt! So verbringe ich meine erste Nacht auf afrikanischen Boden noch mit leicht mulmigen Gefühl im Zelt, abseits der Straße im Wald versteckt. Doch schon am nächsten Morgen weicht dieses Gefühl zu einer Neugier auf Land und Leute. Um diese Jahreszeit ist das Wetter sehr wechselhaft. Mal Sonne und mal bei Regen überwinde die Pässe des Rifgebirges und durchfahre weite Kiefernwälder. Der Norden Marokkos ist richtig Grün! In Quezzane, einem schmucken Städtchen in den Bergen, nimmt mich ein Schneider in sein bescheidenes Haus auf. Es erstaunte ihn sehr, mit dem Rad von Deutschland in sein Land zu kommen und lud mir zu Ehren am Abend seine ganze Sippe und Nachbarschaft ein. Zum Abschied schenkt er mir einen selbst genähten Jellaba, jenes landestypische Gewand mit Kapuze der Einheimischen. Offensichtlich schenkt er meiner Funktionskleidung aus Fleece und Gore-Tex kein Vertrauen für kühle Nächte in den Bergen oder der Wüste. Überhaupt erfahre ich herzliche Gastfreundschaft. Nicht selten wird mir von Spalier stehender Dorfbevölkerung Tee mit frischen Minzblättern gereicht. Das Wetter ändert sich radikal sobald ich mich der “Stadt der 1000 Tore” Meknes nähere. Sonne satt bei hochsommerliche Temperaturen bringen mich von nun an Tag für Tag ins Schwitzen. Die alte Königsstadt besteht wie jede größere Marokkanische Stadt aus einer Altstadt, der Medina und einer, in der Kolonialzeit gegründeten , Neustadt. Doch das wahre Leben spielt sich natürlich in der Medina ab und nicht zuletzt finde ich dort auch die billigsten Unterkünfte.Und im Herzen einer jeder Medina befindet sich der Souk, ein unübersichtliches Gewirr aus Gassen mit Märkten und Läden. Hier lebt Tausendundeine Nacht wieder auf! Ich vergesse alles beim Eintauchen in diese fremde Welt. Ein Gewimmel von Menschen. Ein Fleischer zerlegt soeben mittendrin ein Hammel, Gerüche verschiedenster Gewürze steigen mir in die Nase, Bettler bitten um Almosen, das Stimmengewirr tausender Menschen wird noch übertönt von Hammerschlägen eines Kupferschmieds und Marktschreiern während es vor mir nicht mehr weitergeht.”Eselstau in der Rush-Hour” Ich stecke in einem Eselsstau! Nur die störrischen Grautiere sind in der Lage, Warennachschub in die Basare zu bringen. Man muss es einfach mal erlebt haben! Ganz anders Casablanca, meine nächste Station. Diese hektische Wirtschaftsmetropole gibt sich westlich. Bürotürme fressen sich in die Medina hinein. Ich besuche die 150.000 Gläubige fassende Moschee Hassan II, die zweitgrößte der Welt und flüchte dann mit dem Bus nach Agadir um von dort meine Tour fortzusetzen. Die durch Erdbeben komplett zerstörte Stadt mauserte sich zum schmucken Badeparadies. Gerade recht um mein Geburtstag mit kühlem Gerstensaft an der Promenade zu feiern. Mein einziger Gast (Immerhin eine Steigerung von 100% gegenüber meines einsamen Geburtstags in argentinischer Steppe im Vorjahr) ist Heike aus Schwaben. Sie wird mich die nächsten 12 Tage über das Atlasgebirge nach Marrakech begleiten. Truckfahrer strecken uns ihre Hand mit erhobenen Daumen entgegen, als Respekt und Aufmunterung, während wir die Serpentinen zum 2100 m hohen Tizi-n-Test Pass hoch strampeln. Umgeben von bis zu 4000 m hohen Gipfeln genießen wir atemberaubende Ausblicke. Wir passieren kleine Lehmdörfer in herrlicher Gebirgslandschaft und erreichen nach rasanter Abfahrt bald Marrakech, die Stadt der Gaukler. Am Djemaa el-Fna, dem großen, berühmten und magischen Platz im Herzen der Stadt, finden wir eine günstige Unterkunft mit Dachterrasse. Zuerst von dort erleben wir bei untergehender Sonne, den zauberhaften Wandel der “Seele Marrakechs”. Dann stürzen wir uns ins Getümmel der Gaukler und Geschichtenerzähler, der Affenbändiger und Schlangenbeschwörer, der Imbiss-Ständen, Bettlern und Touristen und Globetrottern aus aller Welt. Gnaouamusiker sorgen mit ihren Bongos und Eisenschellen für ohrenbetäubenden Lärm. Papageienbunt bekleidete Wasserverkäufer posieren eher fürs Foto als Dürste zu stillen. Für Heikes noch verbliebene Tage beschließen wir, uns hier ein Auto zu mieten und einen Abstecher zur Sahara, nahe der algerischen Grenze zu unternehmen. Gesagt getan und nach einer zweitägigen rasanten Fahrt, die auch unser Mietwagen an seine Belastungsgrenze bringt, erreichen wir die Sanddünen Merzougas. Wie lässt sich der sandige Ozean am besten erkunden? Natürlich per Wüstenschiff! Doch die hier aufzutreiben ist hier eine äußerst komplizierte Angelegenheit und erfordert starke Nerven! Kamelritte werden nicht einfach so angeboten, sondern werden vermittelt, weil viele daran mitverdienen möchten! Wie “beiläufig” erwähnt mal der Souvenirhändler oder der Teestallbesitzer oder, wie im unseren Fall, ein Anhalter, dass er dir zum “Freundschaftspreis” Kamele besorgt und schiebt gleich nach, dass es zur Zeit schwierig ist. Wer es glaubt! Denn zum einen wimmelt es hier von Kamelen und außerdem sind nur sehr wenige Touristen vor Ort. Nach zähem Handeln und Feilschen entscheiden wir uns für ein Angebot, zwei Kamele mit Guide und sind in der Annahme, halbwegs ein Schnäppchen gemacht zu haben. Bis wir per Zufall alle, vermeintlich konkurrierenden, Kamelvermittler in fröhlicher Runde sitzend, antreffen. Aha, das Kamelkartell von Merzouga scheint neue Marketingstrategien zu entwickeln! Darin sind sie in der Tat sehr einfallsreich. Der Beduine, der uns mit seinen Kamelen letztendlich in die Wüste führt, steht am untersten Ende der Nahrungskette des Profits. Am Nachmittag brechen wir auf. Den Chez, ein etwa 3 m langes Baumwolltuch, um den Kopf gewickelt und bekleidet mit meinem Jellaba, hoffe ich den nächsten Tagen Sand und Sonne trotzen zu können. Durch die Wüste Mit Spannung steigen wir auf unsere noch hockenden Kamele. Ready for Take off! Ohne Vorwarnung hebt sich zuerst das Hinterteil. Hups, ich falle dem Tier um den Hals als es dann auch vorne in die Höhe schießt. Jetzt fühle ich mich wie Lawrence von Arabien, es kann losgehen! Bei untergehender Sonne steuern wir unserem Ziel zu, ein Oasencamp für das Nachtlager am Fuße einer 100 m hohen Düne. Orangeschimmernde Sanddünen in jeder Richtung, so weit das Auge reicht. Es ist schon dunkel als wir die Nomadenzelte, versteckt unter einigen Palmen, erreichen. Zum Absteigen ruft unser Kameltreiber etwas was wie “Autsch” klingt und schon geht das Kamel vorne in die Knie, das Hinterteil folgt. Letzteres schmerzt mir ein wenig, denn gut gefedert sind Kamele nicht gerade. Wir verbringen die Nacht unter einem phantastischen Sternenhimmel und lauschen den Gesängen der Touaregs.

Die Tage vergingen viel zu schnell als wir bereits wieder auf dem Rückweg sind. Ich bringe Heike noch zum Flughafen nach Casablanca und schwinge mich in Marrakech wieder auf das Rad. In weiten Olivenhainen schütteln Bauern die Oliven mit langen Stöcken von den Ästen. Fliegende Händler lauern am Straßenrand und versuchen mir unermüdlich Versteinerungen, Töpfe und Teppiche anzudrehen. Ja sicher, habe ja genug Platz auf meinem Drahtesel! Dann durchfahre ich ein atemberaubendes Hochland im Atlas. Mittlerweile hat das “Fest der gnädigen Reinigung” begonnen, Ramadan! Das bedeutet für mich fortan Engpässe bei der Getränke und Nahrungsversorgung tagsüber. Die meisten Läden in den Dörfern haben geschlossen. Erst wenn nach Sonnenuntergang die erlösende Sirene ertönt, erwacht auf den Straßen wieder das Leben und es wird gefeiert bis zum Morgen. Nach einigen Tagen erreiche ich meine letzte Station, Fes, die Stadt der Gerber und besuche dort deren Viertel. Noch einmal versinke ich in den Altstadtgassen von Fes el-Bali in scheinbar längst vergessene, orientalische Zeiten. Hier stehen die Gerber bis zu den Knien in rund gemauerten Becken, gefüllt mit einer roter, gelben oder braunen Brühe. Hartnäckige Schlepper versuchen dich in ein der zahllosen Läden zu lotsen, wo Lederartikel aller Art angepriesen werden. Lässt du dich ein, hast du schon fast verloren.

Von Ceuta verlasse ich Marokko und radle noch von Algeciras entlang der Costa del Sol nach Marbella. Bei noch mildem Badewetter regeneriere ich mich bei Enrique, einem weiteren Globetrotterkollegen. Von hier besuche ich die alte Maurenstadt Granada. Grandioser Blick vom Maurenviertel über die Festung Alhambra auf die schneebedeckte Sierra Nevada. Für mich ist es die schönste Stadt Spaniens. Obendrein gibt es leckere Tappas, die kleinen schmackhaften Beilagen, noch gratis zum Bier. Obwohl schon Ende November ist es noch sommerlich mild an der Costa del Sol. Doch ich muss heim, denn die Arbeit ruft. 4700 km in knapp drei Monaten waren es diesmal im Sattel. Nach Asien, Amerika und Australien kenne ich nun auch die “nähere” Umgebung etwas besser.

Es hat sich voll gelohnt!


Bilder in Kürze!